Frankreichurlaub: der Alltag im Urlaub

(Kommentare: 0)

6.30 Uhr werde ich zum ersten Mal wach. Eigentlich müsste ich jetzt im Büro sein. Nicht direkt ein schlechtes Gewissen, schließlich feiere ich nicht krank. Aber schon irgendwie komisch. Egal, für knapp eine Woche gebe ich alle Probleme ab. Apropos ab: ab 7.30 Uhr ist dann endgültig Schluss, aufstehen.

Erst einmal ein Stangenbrot - die Franzosen sagen lustiger Weise "Baguette" dazu - geholt und ein "Pain au chocolat". Die Wirtschaft muss schließlich angekurbelt werden.
Das Frühstück fällt ein wenig nüchtern aus, da ich ja noch keine Möglichkeit hatte, "richtig groß" ein zu kaufen. Also fällt dem Bärenhunger das Baguette mit dem Stück Käse von gestern, der Pain und Apfel und Orange (auch von gestern) mit einem Schluck Wasser und lauwarmer Milch zum Opfer. Köstlich und gesund. Also gesund auf jeden Fall.

Während des Frühstücks (in Ruhe) lese ich Nachrichten (zwei Sachen, zu denen ich im - neudeutsch - "real life" eigentlich nie komme). Anziehen, Bad, Uhr, ... zut alors, es ist schon 9.00 Uhr und ich muss zusehen ...
... garnichts muss ich. Ich habe Urlaub. Wenn ich bis nachmittags Frühstücken will, dann kann ich das.
Es ist ein wenig Umgewöhnung. Und ich fürchte, dass ich so lange dazu brauchen werde, bis ich mich von jetzt auf gleich wieder auf 6.30 Uhr einstellen muss. Noch knapp 17 Jahre bis zur Rente ...

Lidl gibt es auch in Frankreich. Und nahezu dieselben Waren stehen an nahezu denselben Stellen. Doch da ich Urlaub habe und somit Zeit, denke ich nicht im Traum daran so systematisch wie zu Hause einkaufen zu gehen und irre ziellos durch den Laden, als ob ich noch nie einen Supermarkt von innen gesehen hätte. Vor allem auch unglaublich, wie viele Leute um diese Zeit (Montag, ~10 Uhr) bei Lidl einkaufen gehen. Haben die nichts zu tun? Müssen die nicht arbeiten?

Mein Warenkorb füllt sich mit ausschließlich geplanten Artikeln (WTF?) und sobald ich die Beute nach Hause gebracht habe, kann der Urlaub beginnen, alles ist gefüllt. Vor allem der Magen über den Umweg des Kühlschranks.
Für ein besonderes Rezept, welches ich ausprobieren möchte, benötige ich auch noch eine Wassermelone. Es gibt eine große Wassermelone das Stück zu 4,99 Euro. Erscheint mir ein wenig zu groß. Der Preis. Die kleinen kosten 2,99. Sollte für das Rezept eh reichen.
An dieser Stelle zeigt sich dann auch wieder, wie genial es war, Zewa, Milch und vor allem die 9 Liter Wasser für geschätzte 3 Euro mehr im Campingplatzshop bzw. in Vias Plage selber zu kaufen: anstatt wie früher auch die kleinsten Ecken in jedem Winkel unter zu bringen (war der Rahmen des Motorrads nicht hohl? Da könnte ich doch die Tomaten einzeln platzieren?), sind die geschätzten nun nicht mehr benötigten 15 Liter Stauvolumen wie ein Geschenk des römischen Gottes des Platzes: alles ist ratz-fatz verstaut und steht nicht stundenlang in der heißen Sonne auf dem noch heißeren Teer bis es seinen Platz gefunden hat.

Zum Wohnwagen, auspacken, Nahrungsmittel in den Kühlschrank - auf dem Weg dorthin verirren sich einige jedoch unwiderbringlich vorab ihrer eigentlich später zugedachten Verwendung - und schon ist es Mittag.
Jetzt muss ich aber los, denn ...
... garnichts muss ich. Ich habe Urlaub.
Ich möchte Pézenas (https://de.wikipedia.org/wiki/P%C3%A9zenas), einer sehr schönen Altstadt, die in den Jahren zuvor mit Arbeitskollegen zusammen entdeckt wurde. Aber ich muss nicht jetzt, direkt nach Mittag los. Ich kann mich auch ruhig nochmal vor den Wohnwagen in die Sonne setzen, ein Wasser trinken (bei den Temperaturen sollte man eh bewusst mehr trinken) und wenn die Sonne nicht mehr senkrecht auf die Gedenkhalle scheint kann ich mich immer noch auf den Weg machen. Wenn es dann abends später wird - who cares? Ich auf jeden Fall nicht.
 


 

Den Weg nach Pézenas hatte ich mit dem Tourenplaner ausgearbeitet. Nichts besonderes, es sind ja nur knapp 20 Kilometer, doch wenn schon, warum dann nicht schön anstatt einfach nur öde Schnellstraße. Auf dem Weg komme ich an Cap d'Adge vorbei, welches mit dem Hafengebiet mich ein wenig an Fotos von Florida erinnert.
 


 

Weiter geht es über endlose Tempo 70 Zonen. Dank an Sarkozy (die eiserne Lady Frankreichs): Null Toleranz den Unfalltoten. Wie edel. Tempo 70 über kilometerlange, gerade Strecken aber Tempo 90 in den Bergen an den meisten Stellen und Kurven. Irgendwie ... aber ich sage lieber nichts, sonst werden die Straßen in den Bergen demnächst noch stärker als 70 reglementiert. Und dann wird man noch von Hannibal überholt - obwohl der schon ein paar Tage tot ist.
Irgendwie paradox. So wie z. B. in USA die Leute kein Echtwachskerzen an den Weihnachtsbaum hängen, weil es brandgefährlich ist. Die geladene vollautomatische Knarre als Weihnachtsgeschenk für die Kleinen ist natürlich viel sicherer - brauchen die Kleinen ja ggf. auch um sich in der Schule wehren zu können.
Oder Deutschland: die Chance im Krankenhaus durch eine dort eingefangene Infektion zu sterben ist mehr als  sechsmal höher als die Chance durch einen Verkehrsunfall zu sterben. Aber den Straßenverkehr muss man einfach stärker limitieren. Einfach nur so. Bringt nicht so viel wie die Sache in den Krankenhäuser, aber wenigstens mehr Geld ... mit Sicherheit.
 


 

In Pézenas angekommen finde ich sofort wieder den Parkplatz, den wir auch schon vor zwei Jahren genutzt haben. Von da aus sind es nur wenige Schritte in die Altstadt.
 


 

Irgendwas werde ich kaufen. Irgendwas, scheissegal was. Aber kein kleines Eis mit drei Kugeln zu 7,50 Euro! Und auch bestimmt keine 100g Oliven für 10 Euro. Da schlägt das Prinzip zu. Bei einer Pâtisserie werde ich dann schwach. Eine riesige Rosinenschnecke und ein - es muss was besonderes sein - werden liebevoll eingetütet (Ist ja auch eine Pâtisserie (Konditorei mit Backwaren), kein einfacher Bäcker!).
Es wird schon spät, es ist gegen 16 Uhr und ich muss ...
... garnichts muss ich. Ich habe Urlaub.
Die Rosinenschnecke ist zu langsam und überlebt den Weg zurück zum Parkplatz nicht. Sie ist halt nicht mehr über die Straße gekommen. Das "es muss was besonderes sein" hebe ich ich vorsichtig in einen Koffer und machen mich auf den Weg nach Hause.
 


 

Gegen 22.30 Uhr pflege ich noch Daten ins Web ein und mir ist auf einmal nach einer Tasse Kaffee.
Das sollte ich nicht tun, ggf. schlafe ich dann gleich nicht ein, liege erst wieder wach und bin morgen spät auf. Und das, wo ich doch jetzt alle Sachen für ein Frühstück zusammen habe und ich morgen doch die Kombination aus Einkaufen und dem Besuch ...
... garnichts muss ich. Ich habe Urlaub. Wenn ich jetzt noch einen Kaffee trinken will, dann kann ich das. Und wenn ich dann nicht schlafen kann, dann gehe ich in die Bar und genehmige mir einige Schlummerdrinks.
So langsam dämmert es draußen und auch mir ... ich habe Urlaub. Die Gedanken im Kopf brauchen scheinbar etwas länger. Wahrscheinlich sind sie in der Rhone nicht mitgekommen und falsch abgebogen ...

PS: Trotz Kaffe bin ich müde geworden. Entweder bin ich kerngesund und selbst eine große Bol Kaffee macht mir am Abend nichts aus oder ich bin einfach nur alt und müde.

PS2: Ich distanziere mich hiermit eindeutig vom ersten Satz der Definition von "Alltag" bei Wikipedia!

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 7 und 5.